Ausgabe 2/2019, April

WIdO-Themen

Digitalisierung: Deutsche Krankenhäuser im Rückstand

Bei der Digitalisierung liegen deutsche Krankenhäuser weit hinter den technischen Möglichkeiten zurück. Das zeigt eine Analyse im aktuellen Krankenhaus-Report, die auf einem internationalen Vergleichsprojekt zum Stand der Digitalisierung beruht.

Das Electronic Medical Record Adoption Model (EMRAM) beschreibt auf einer Skala von 0 bis 7 den Digitalisierungsgrad eines Krankenhauses. Dabei setzt das Erreichen einer Stufe voraus, dass die vorhergehende erfüllt wurde. Krankenhäuser der Stufe 0 verfügen in ihren großen diagnostischen und versorgenden Abteilungen wie Labor, Radiologie und Apotheke über keinerlei digitale Informationssysteme. Im Jahr 2017 traf dies gemäß einer analysierten Stichprobe von 167 deutschen Krankenhäusern auf knapp 40 Prozent der Einrichtungen zu.

Die Anforderungen der höchsten Stufe erfüllt kein Krankenhaus. Voraussetzung dafür ist der Einsatz einer lückenlosen, in alle klinischen Bereiche integrierten elektronischen Patientenakte. Nur zwei Krankenhäuser der Maximalversorgung erreichen die zweithöchste Stufe 6. Hier wird zum einen verlangt, dass bei der elektronischen Dokumentation intelligente Systeme greifen, die zum Beispiel zum Behandlungspfad patientenindividuelle Hilfestellungen anbieten. Zum anderen wird ein geschlossener digitaler Medikationsprozess gefordert, der die Abläufe von der Verordnung bis zur Medikamentenabgabe unterstützt. Der internationale Vergleich verweist auf einen sehr niedrigen Digitalisierungsgrad, wie die Autoren der Technischen Universität Berlin in ihrem Beitrag darlegen – auch wenn die berücksichtigten deutschen Krankenhäuser keine repräsentative Stichprobe darstellen. Während Deutschland mit einem Wert von 2,3 auf der EMRAM-Skala knapp 40 Prozent unter dem EU-Durchschnitt von 3,6 liegt, erreichen Länder wie die Niederlande (4,8), Dänemark (5,4) oder die USA (5,3) viel höhere Stufen. Kleine deutsche Krankenhäuser mit weniger als 200 Betten liegen im Durchschnitt sogar nur bei 1,3.

Der Krankenhaus-Report 2019 mit seinem Schwerpunkt „Das digitale Krankenhaus“ verdeutlicht anhand internationaler und nationaler Vergleiche  und Fallbeispiele, welchen Handlungsbedarf es bei der digitalen Transformation gibt. In den Beiträgen geht es um die Voraussetzungen und Möglichkeiten einer umfassenden IT-Nutzung im Krankenhaus, um den Stand der elektronischen Patientenakte, um Chancen und Perspektiven der digitalen Transformation für die Qualität der Patientenversorgung und -sicherheit sowie um den Wandel medizinischer Berufsbilder. Ergänzt wird das Schwerpunktthema durch Einzelbeiträge „Zur Diskussion“, eine krankenhauspolitische Chronik und einen umfangreichen Datenteil.

Carina Mostert, Leiterin des Forschungsbereichs Krankenhaus im WIdO

„Auch der niedrige Digitalisierungsgrad vor allem kleiner Krankenhäuser spricht dafür, die stationäre Versorgung stärker zu zentralisieren.“

Carina Mostert, Leiterin des Forschungsbereichs Krankenhaus im WIdO

Versorgungs-Report: Früherkennung unter der Lupe

Um Krankheiten früh zu erkennen, werden immer mehr Untersuchungen angeboten. Nicht alle sind gleich wirksam. Der neue Versorgungs-Report thematisiert die Herausforderungen, die das systematische Screening gesunder Menschen mit sich bringt.

Die Fähigkeit der Versicherten, eine informierte Entscheidung zu treffen, bekommt eine immer größere Bedeutung – nicht zuletzt durch den Nationalen Krebsplan und die Entwicklung evidenzbasierter Entscheidungshilfen zur Krebsfrüherkennung. Der im März 2019 erschienene Versorgungs-Report mit dem Schwerpunkt Früherkennung erläutert den Stellenwert einer informier- ten Entscheidung. Was sie für die Arzt-Patienten-Kommunikation bedeutet, thematisiert ein Inter- view zu Nutzen und Risiken des Mammografie-Screenings.

Weitere Themen sind die Screenings auf kardiologische und metabolische Risikofakto- ren, auf Prostata-, Darm- und Hautkrebs sowie auf Demenz. Zu einer Reihe ethischer Fragen führen Früherkennungsuntersuchungen in der Schwangerschaft und bei Neugeborenen. Eine Sekundärdatenanalyse liefert aktuelle Zahlen dazu, wie viele Versicherte über zehn Jahre an Screenings teilgenommen haben. Eine repräsentative Befragung berichtet über die Einstellungen der Versicherten zur Früherkennung.

Zusätzlich informiert der Report auf der Grundlage von AOK-Abrechnungsdaten über die Behandlungshäufigkeit von 1.500 Erkrankungen und über die Inanspruchnahme von Gesunndheitsleistungen in den vier ausgabenstärksten Sektoren des deutschen Gesundheitswesens. Der Report steht unter mwv-open.de kostenlos zur Verfügung.

Fehlzeiten: Der Beruf beeinflusst die Krankheitstage

Krankheitsbedingte Fehlzeiten unterscheiden sich von Beruf zu Beruf zum Teil sehr deutlich. Das zeigt eine WIdO-Analyse der Arbeitsunfähigkeitsdaten für das Jahr 2018.

Den Spitzenplatz bei den Fehlzeiten hielten Berufsgruppen aus den Bereichen Ver- und Entsorgung mit 32,5 Krankheitstagen pro Jahr, gefolgt von Straßen- und Tunnelwärtern mit 31,4 und Berufen in der industriellen Gießerei mit 30 Krankheitstagen. Die niedrigsten Fehlzeiten hatten Berufe in der Hochschullehre und -forschung mit lediglich 4,6 Fehltagen. Auch Beschäftigte in der Softwareentwicklung, in der technischen Forschung und Entwicklung sowie Ärzte wiesen nur sehr geringe krankheitsbedingte Fehlzeiten auf.

Von den AOK-versicherten Beschäftigten arbeiteten 20 Prozent in den Berufen mit den höchsten Krankenständen – sie kamen im Jahr 2018 auf durchschnittlich 26,3 krankheitsbedingte Fehltage. Weitere 20 Prozent arbeiteten in den Berufen mit den niedrigsten Krankenständen – sie fehlten nur 12,8 Tage im Jahr.

Insgesamt 2,5 Millionen AOK-Versicherte gingen Berufen nach, in denen durchschnittlich 62 Prozent der Beschäftigten mindestens einmal im Jahr krankgeschrieben waren. Unter den Berufsgruppen mit niedrigen Krankenständen waren dies nur 48,1 Prozent. Insgesamt ist der Krankenstand im Jahr 2018 im Vergleich zum Vorjahr um 0,2 Prozentpunkte auf 5,5 Prozent gestiegen. Mitverantwortlich für diesen Anstieg war eine Erkältungswelle zu Beginn des Jahres. Die Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund von Atemwegserkrankungen stieg um 8,1 Prozent, die der Arbeitsunfähigkeitsfälle um 5,7 Prozent.

Die WIdO-Themen zum Herunterladen

Analysen – Schwerpunkt: Global Health

Global Health – Hope oder Hype?

Jens Holst, Hochschule Fulda

Global Health ist ein komplexer Sammelbegriff, der in den letzten zwei Jahrzehnten Bedeutung gewann, aber bis heute keine eindeutige Verwendung erfährt. Letztlich handelt es sich bei globaler Gesundheit um die Weiterentwicklung von Public Health im Hinblick auf die diversen weltumspannenden, ubiquitären Herausforderungen und die wachsende Zahl globaler Akteure. Der Begriff geht über die territoriale Bedeutung von „global“ hinaus, verbindet „lokal“ und „weltweit“ und bezeichnet ein explizit politisches Konzept, das gesellschaftliche Ungleichheit, Machtasymmetrien, Ressourcenverteilung sowie Governance-Strukturen berücksichtigt und Gesundheit
als rechtebasiertes, universelles Gut betrachtet. Daraus leiten sich grundlegende Forderungen auf allen Ebenen der direkten und vor allem indirekten Gesundheitspolitik ab.

Die Vermessung der globalen Gesundheit

Stefan Kohler, Universität Heidelberg

Was sind die größten gesundheitlichen Probleme der Welt? Wie erfolgreich geht die Menschheit diese Probleme an? Wie wird Gesundheitsversorgung finanziert und wie können wir Ressourcen bestmöglich einsetzen, um die Gesundheit der Weltbevölkerung zu verbessern? Globale Gesundheitsdaten, die standardisiert erfasst und vergleichbar ausgewertet werden, können helfen, derartige Fragestellungen auf Basis empirischer Erkenntnisse zu beantworten. Die Global-Burden-of-Disease-Studie (GBD-Studie) ist wohl die meistgenutzte Quelle für Informationen über die Gesundheit von Bevölkerungen weltweit. Aktuelle Ergebnisse bestätigen den Trend einer weltweit zunehmenden Lebenserwartung, weisen auf anhaltende Versorgungs- und Finanzierungslücken hin und zeigen, wie sich die Hauptursachen der Krankheitslast auf der ganzen Welt immer ähnlicher werden. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass die beschriebenen Veränderungen in der globalen Gesundheit oft nicht gemessen, sondern anhand begrenzt verfügbarer Daten geschätzt werden.

Fit for Purpose? Die WHO auf der Suche nach einer neuen Rolle in der globalen Gesundheit

Cornelia Ulbert, Universität Duisburg-Essen

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist die internationale Organisation mit dem Mandat, die internationale Gesundheitszusammenarbeit zu koordinieren und zu führen. Diese Rolle konnte sie aber im System globaler Gesundheit bislang nicht angemessen ausüben. Verantwortlich dafür ist unter anderem eine lang andauernde Finanzierungskrise, die Ausdruck des mangelnden Vertrauens der Mitgliedsstaaten in die Leistungsfähigkeit der Organisation ist. Mit dem laufenden Arbeitsprogramm
unter dem neuen Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus strebt die WHO an, diesen Führungsanspruch umzusetzen und ihre Wirksamkeit zu steigern. Dazu sind
weitreichende Änderungen geplant. Die Transformation der WHO kann jedoch nur gelingen, wenn die Mitgliedsstaaten den Anteil der frei verwendbaren Mittel im Budget erhöhen, um der WHO den notwendigen Gestaltungsspielraum für die Reformen zu verschaffen.